Luppenau

Der Saale-Elster-Kanal und ein Verein der sich seiner annimmt

SAALE-ELSTER-AUEN-KURIER - November 2013
Autor: Ilja Bakkal

Prolog

An einem heißen Sommertag des Jahres 1957 nutzte ich die gerade erworbene Freiheit des aufrechten Ganges, mich einem Waschzuber zu nähern, kopfüber hinein zu tauchen und in dieser Unpässlichkeit solange zu verharren, bis mich mein Vater wieder herauszog. Der empfundenen Faszination des Wassers schadete es nicht. Im Gegenteil. Aufgewachsen am Ufer der
Spree, beobachtete ich die vorbeiziehenden Schleppzüge, später die Schubeinheiten, die Fahrgastschiffe. Das erste Faltboot, Ferien auf dem Fischkutter, die gecharterte Motorjacht in Friesland, und jetzt das Kajak: Saale, Unstrut, Elbe, Havel, Tollense, Peene, Achterwasser, Luppe …,
unlängst der Saale-Elster-Kanal und die Leipziger Gewässer: Elsterflutbett, Weiße Elster, Heine-Kanal. Hier begegnete der „Hecht“ aus Luppenau  dem „Flaggschiff“ der innerstädtischen Flotte, das rot-weiß gestrichen, mit übergeflickten  Blechen einen so liebevoll-unseligen Eindruck macht, dass der große Name „Weltfrieden“  schon nachdenklich stimmt, wie das wohl  gemeint sei. Sollten in einer bedeutenden deutschen  Stadt nicht richtige Schiffe fahren, an deren Heck Heimathäfen geschrieben stehen, die mehrere Flussreisetage oder Wochen entfernt sind? Nein, Leipzig muss diesen Makel hinnehmen, ihn mit München teilen, obwohl es in Lindenau einen Hafen gibt, den Heine-Kanal, der in die Stadt führt und einen Kanal, der eben diese fehlende Verbindung zum Wasserstraßennetz Europas herstellen sollte,  für Schiffe mit einer Kapazität von 1000 Tonnen. Nichts von alldem funktioniert, wurde aufgegebenen, in den letzten Jahren des Krieges. Aber überall dort, wo sich die Stadt das Wasser wieder erschließt, verändert sie ihr Gesicht, werden Industriebrachen zu begehrten Wohnstätten, fahren Sportboote, nehmen sich die Menschen seiner Ufer an.
 Dem Ziel des Weiterbaus des Kanals widmet sich der Saale-Elster-Kanal Förderverein. Zu einer gemeinsamen Informationsveranstaltung hatte für den 16. Oktober 2013 der Arbeitskreis Döllnitz geladen. Mehr als 60 Teilnehmer, die über die Ufer des Sees vor der eigenen Haustür hinausblicken möchten, trafen sich in der wieder eröffneten Gaststätte Lochau. Sie erlebten eine grundsätzlich optimistische Aufarbeitung des Jahrhundertthemas.
Sicher haben auch kleine Gewässer mit definierten Rändern ihren Reiz, doch der nimmt zu, je weiter wir hinausfahren können, bis zum nächsten Fluss, bis ins Meer.

Eine Vision mit realen Chancen

Dirk Becker, zweiter Vorsitzender des 2007 gegründeten Vereins und Autor des Buches „Der Südflügel des Mittellandkanals“, näherte sich dem Thema in einem kompetenten wie eloquenten Vortrag mit einer historischen Bestandsaufnahme. Der Mittellandkanal ist mit 325 km der längste Kanal Deutschlands. Er verbindet den Dortmund-Ems-Kanal mit der Weser, dem Elbe-Seitenkanal, der Elbe und dem Elbe-Havel-Kanal.  1915 wurde der 1. Bauabschnitt des Mittellandkanals in Betrieb genommen und  1916 die Weiterführung bis Hannover realisiert. Unklarheiten der Trassenführung, deren Planungen in die Mitte des 19. Jh. zurückreichen, waren nur ein Grund für das Stagnieren. Erst mit dem Staatsvertrag von 1921, der die Wasserstraßen der Länder der neuen Reichswasserstraßenverwaltung unterstellte, konnten Fragen der Planung und Finanzierung geregelt werden. Ein weiterer Staatsvertrag von 1926 fixierte die Details für den Bau des Mittellandkanals, dessen Südflügel die Industriegebiete um Halle-Leipzig und die Kali-und Salzlagerstätten in Bernburg und Staßfurt u.a. durch den Ausbau der Saale, den Bau des Saale-Elster-Kanals, eines Stichkanals nach Staßfurt und die Regulierung der Elbe für 1000-Tonnen-Fahrzeuge (entspricht dem heutigen Europa-Schiff), erschließen sollte.

Planung und Bau des Saale-Elster-Kanals oblagen dem Leipziger Kanalbauamt, welchem von 1927 bis 1942 Prof. Gustav Gerstenberger vorstand. Die Trassierung des Kanals begann bei Kreypau, sollte in Wüsteneutsch durch zwei Schleusen einen Höhenunterschied von 22 Metern überwinden und in östlicher Richtung über Günthersdorf, Dölzig, Burghausen Leipzig-Lindenau zustreben. Der Hafen Lindenau fiel nicht mehr in die Zuständigkeit des Kanalbauamtes, sondern der Stadt, die eine Verbindung mit dem Karl-Heine-Kanal seinerzeit nicht vorsah.
An drei Stellen, westlich vor Günthersdorf, bei Dölzig und vor Burghausen verläuft der Kanal in einem Damm:  9, 14 bzw. 11 Meter über dem Bodenniveau. In diesem Zusammenhang wurden  ein Sperrwerk  bei Günthersdorf sowie ein Sperrwerk und ein Entlastungswerk bei Burghausen fertiggestellt. Die Sperrwerke ermöglichten ein Abriegeln des teilweise über Niveau verlaufenden Abschnitts. Von ihnen sind heute nur noch die Türme zu sehen. Die horizontalen Kanalüberbauungen mit den absenkbaren Sperrtoren wurden demontiert und anderenorts verbaut. Das zwischen diesen Sicherungssystemen befindliche Entlastungswerk leitet bis heute überschüssiges Wasser in den Zschampert ab und mit ihm unter dem Kanal hindurch zur Luppe. Technisch bemerkenswert sind zwei parallele Hebersysteme, die, wenn mittels Hilfshebern und einem über allem befindlichen Wasservorrat eine geschlossene Wassersäule aufgebaut wurde, das Wasser aus dem Kanal auspumpen könnten, wie der angesaugte Schlauch aus dem Aquarium (zit. Becker.)

Nachdem im Februar 1943 alle Arbeiten eingestellt werden mussten, waren 11,35 km fertig und geflutet ( der heutige Kanal von der Brücke über die B181 bis Lindenau), weitere 5.5 km in westlicher Richtung  waren fertig aber nicht geflutet und lediglich 1,5 km haben kein Kanalbett. Zum Zeitpunkt waren alle Brücken, Sperrwerke, Bachunterführungen usw. bereits errichtet.
 Bei Wüsteneutsch erhebt sich das Technische Denkmal der zu 75% fertig betonierten oberen Schleusenkammer. Gemeinsam mit der unteren, von der lediglich die Baugrube existiert, wäre sie die größte Schleusentreppe Deutschlands geworden. Mit einer Fallhöhe von je 11 m, Kammergrößen von 85 mal 12 m, hätte sie 22  Höhenmeter überwunden. Diese Schleusenart kann etwa die Hälfte des Wassers bei der Entleerung in speziellen Sparbecken aufnehmen und beim Füllvorgang wieder verwenden. Zusätzlich hätte eine Pumpanlage dem Wasserverbrauch entgegenwirken müssen. In der Luftaufnahme (www.luppenau.de)erkennen Sie die gigantischen Schleusenwände der oberen Kammer, rechts und links daneben (unterer Bildrand - Richtung Leipzig), am Oberhaupt der Schleuse, die bogenförmigen Einlaufkanäle der Sparbecken. Zwischen den Wänden befindet sich der Drempel mit dem zum Inneren hin durch einen erkennbaren Spalt abgetrennten Prellbalken. Dieser sollte einem ruhigen Wassereinlauf dienen. Beim Blick vom Unterhaupt in die Schleuse sieht man auf den Prellbalken, welcher den Drempel verdeckt.(Ein Drempel befindet sich üblicherweise unterhalb der Schleusentore eines Oberhauptes, die in geschlossenem Zustand auf diesem aufsitzen und ragt in die Kammer hinein. Es ist wichtig, beim Einfahren  zum Abwärtsschleusen mit dem Heck vor dem Drempel zu liegen, weil man sonst bei fallendem Wasserspiegel auf diesem aufsitzen kann.) Quer zu den Schleusenwänden am Unterhaupt stehen die Überläufe der Sparbecken, dahinter, seitlich abgeschrägt, die Widerlager der Straßenbrücke, die  nur am Unterhaupt der oberen Schleuse vorgesehen war. Beim Blick vom Unterhaupt flankieren diese Wiederlager die Schleusenwände und verdecken die Überläufe. Der schimmernde Fleck zwischen Straße und Horizont ist die Baugrube der unteren, nach Kreypau gerichteten Schleusenkammer. Kähne hätten durch die Anlage getreidelt werden können, für Schlepper waren Wendestellen vorgesehen. Die Häupter der Schleusen wären mit einer Brücke und je 2 Türmen zur Aufnahme der Antriebs- und Kraftübertragungsanlage für die Hubtore überbaut gewesen.
Heute favorisiert der Verein ein gigantisch-futuristisches Schiffshebewerk, das schon um seiner selbst willen eine Attraktion der Region würde, andererseits effektiver und bei begrenztem Wasserangebot geeigneter erschiene, als die ursprüngliche konzipierten Sparschleusen.
Die von Sachsen, Sachsen-Anhalt, der Stadt Halle und dem Saalkreis finanzierte Potentialanalyse wie auch eine Studie der TH Merseburg, kommen zu dem Ergebnis, dass die Fertigstellung des Saale-Elster-Kanals aus Sicht des Kulturtourismus eine lohnende volkswirtschaftliche Investition darstellt. Das Projekt hätte eine touristische  Sogwirkung auf den Nahbereich Leipzig, Halle, Merseburg, aber auch bis in das Ruhrgebiet, nach Hamburg und Dresden, vor allem aber in den Berlin-Brandenburger Raum. Die Entwicklung des Tourismus, die einschlägige wirtschaftliche Effekte mit sich bringt, würde sich mit Vorhandenem potenzieren, wie z.B. dem  Völkerschlachtdenkmal und dem Gewandhaus in Leipzig, der neuen Seenlandschaft, dem Gradierwerk in Bad Dürrenberg, dem Händelhaus und der Moritzburg in Halle oder dem Sonnenobservatorium Goseck, der Arche in Wangen …
Wie eine Region aufgewertet werden kann,  zeigt als bestehendes Referenzobjekt das 2002 im schottischen Falkirk errichtete Rotationshebewerk, das mit 2 zusätzlichen Schleusen eine Höhendifferenz von 35 m zwischen dem Forth-and-Clyde-Kanal und dem Union-Kanal überwindet. Beide zuvor aufgegebenen Kanäle waren in den 90er Jahren reaktiviert worden, was mit umfangreichen Neubauten an der Trasse und der Infrastruktur einherging.
Dass man hier, im Herzen einer mitteldeutschen Industrieregion,  so zögerlich und kontrovers mit dem Thema umgeht, wird auch durch zersplitterte Zuständigkeiten begünstigt.
Das Kanal-und Hafenmanagement der Stadt Leipzig lässt eine starke Lobby erkennen. Auch die Aussage des Referenten für europäische Raumentwicklung im Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr Sachsen-Anhalt, H.-J.  Braune,  dass man an dem Projekt interessiert sei und es in kleinen Schritten angehe, kann bei gegebenem Optimismus entsprechend interpretiert werden. Am 27. September 2013 fand in Leipzig die Auftaktberatung der Gesamtkonferenz Tourismus der Länder  Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen statt. Ziel ist die Erarbeitung eines tourismuswirtschaftlichen Konzeptes für die Gewässerlandschaft im Mitteldeutschen Raum. Hier integriert sich das Kanalprojekt in die Seenlandschaft von Leipzig, den Geiseltalsee, die Flüsse Saale und Unstrut.  Auf die erwähnte Potentialstudie wird eine Machbarkeitsstudie von Sachsen und Sachsen-Anhalt folgen. Der Ortsbürgermeister Kreypaus, Peter Engel,  berichtete, dass die Stadt Leuna in einem Stadtratsbeschluss als politische Willensbekundung das Projekt befürwortet. Hier zieht sie gleich  mit  Schkopau und  vielen weiteren Anliegergemeinden.
Das aktuelle Bestreben des Bundesverkehrsministeriums, mit einer Reform der Wasser-und-Schifffahrtsverwaltung, die Saale als Restwasserstraße zu klassifizieren,  könnte im Erfolgsfall eine aufregende Vision ersticken.
Ob und wann  die beschwörend vorgetragenen abschließenden Worte des Vereinsvorsitzenden, Michael Witfer, dass wir Projekte beginnen müssen, die wir unseren Nachfahren hinterlassen können, ökonomische Prioritätensetzungen verschiedener Ministerien, der Landes-und Bundespolitik beeinflussen können, bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Glaubensfrage.  

Anmerkung


Wenn ich Sie nach der Lektüre zu einem Besuch der Schleuse, einer  Fahrt auf dem Kanal und durch Leipzig mit dem Kanu einladen darf, folgen Sie mir bitte auf www.luppenau.de. Denjenigen, die das Thema vertiefen möchten, empfehle ich www.saaleelsterkanal.de .
Dieser Beitrag bezieht sich im Wesentlichen auf die Informationsveranstaltung, das Buch „Der Südflügel des Mittellandkanals“ von Dirk Becker und die Homepage des Vereins. Ich bedanke mich beim Ortsbürgermeister Kreypaus, Peter Engel, für umfassende nachträgliche Erklärungen und ganz besonders bei Günter und Stephan  Merkel, die mich beim Fotografieren der Schleuse unterstützt und die Luftaufnahme ermöglicht haben.
Sollten Sie bei der Lektüre des erwähnten Buches bis zum Nachwort gelangen, werden sie auf den Grünen Nasendrüsling stoßen, der alles verhindern und verzögern kann. Ob es sich hierbei um eine eigene Art handelt, oder um einen am Rhinophym erkrankten Scheingrünen Phenolbeißer, der für das Gebiet von Luppenau avisiert ist, muss an dieser Stelle offen bleiben.
Ich hoffe, dass ich die Realisierung einer Vision, die in die Zukunft gerichtet ist, aber auch der Vorleistung vergangener Generationen, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht, höchsten Respekt zollt, erleben darf.

Ilja Bakkal

 

Bildunterschrift: Die Schleusenruine Wüsteneutsch